Literarische Lesung von Dirk von Petersdorff

„Aus Momenten, die eigentlich weg sind“, doch etwas aufzubewahren und eine kunstvoll verdichtete Literatur daraus entstehen zu lassen – das ist einer der Wege, denen das Schreiben Dirk von Petersdorffs folgt. Der 1966 in Kiel geborene Lyriker und Essayist besuchte die Q 11 des Schönborn-Gymnasiums und nahm die Schüler auf ganz vielfältige und gewinnende Weise in diesen spannenden Gerinnungsprozess, dem Pfad von Ideen zu Texten, mit: lesend, erklärend, dem jungen Auditorium dialogsicher zuhörend, und immer erhellend.

Jugenderinnerungen, Beobachtungen rund um die eigenen Kinder, Alltagsreste, Urlaubseindrücke, zarte Naturanklänge, Geruchs- und Geschmacksmarker, auch einstmals faszinierende Gegenstände – wie der berühmte „Zauberwürfel“, so der Titel eines seiner Gedichte -, oder Pop-Song-Fetzen, vieles kann taugen für eine erste Idee, um daraus Textperlen werden zu lassen. Frappierend, wie der Autor hochsensitiv Assoziationen aus seinem Gedächtnis schöpfen kann, ohne Tagebuchnotizen oder ähnliches bemühen zu müssen. Es genügt ein Bild, ein Geräusch, ein Geruchshauch.

Petersdorff lehnt Einschränkungen ab, will maximale dichterische Beinfreiheit. Deshalb gehört er auch zu keiner Literatenschule oder einem Kreis, er ist ein Solitär: „Verbote sollte es in der Kunst nicht geben.“, versichert er. Deswegen jongliert er auch mit alten Formen – dem Sonett zum Beispiel -, mit Reim und Takt, ihn reize daran die „sportliche Herausforderung“, diese Form bestmöglich zu füllen und zu beherrschen. Auch arbeitet er mit postmodernen Reminiszenzen und Anschlussstellen im geläufigen Instrumentenkasten der Metaphorik und im Stilrepertoire.

„Raucherecke“ ist so ein Beispiel, sein Auftaktgedicht an diesem Vormittag: eine liebevolle Schulerinnerung in hymnischem Ton, durch den Gegenstand aber hochironisch-witzig gebrochen. Die Schüler verstehen sofort. Sie schmunzeln, auch unter der obligatorischen Mund-Nasen-Bedeckung. Mit „Am Grund der Diskurse ein Fisch“ geht es weiter. In „Nimm den langen Weg nach Haus“, dem Titelgedicht seines frühen Erfolgsbandes, einer für Petersdorff-Verhältnisse längeren Textstrecke, verdichtet sich seine Zuneigung zum romantischen Lebensgefühl, das er in die Gegenwart rettet und wieder produktiv macht. Der Autor destilliert aus seiner Erinnerungsarbeit wunderbar Wehmut, Suche, Sehnsucht und transportiert diese Gefühlsmelange, die durch den Filter der schnoddrigen Distanzierung läuft, zielsicher in die Ohren seiner Zuhörer. Kein Wunder, dass er jüngst eine vorzügliche Einführung zu dieser faszinierenden Epoche vorgelegt hat. Er bekennt sich zu diesem Quellgrund deutscher Literatur offensiv, auch in dem zarten Liebesgedicht „Alles am Morgen“.

Petersdorff lehrt seit Jahren in Jena Literaturwissenschaft, an der ehrwürdigen Schiller-Universität, und er ist gleichzeitig eine der markantesten Stimmen der Gegenwartslyrik im Land. Das ist an diesem Vormittag eine Win-Win-Situation: der Autor hat einen ausgeklügelten Lesefahrplan, der Stationen seines Werkes in glasklarer norddeutscher Diktion elegant beleuchtet, und er hat umgekehrt einen didaktischen Vermittler-Plan, der den Schülern in Zwischentexten sein Schreiben erklärt. Außerdem ist da ein sehr sicheres Gefühl für Timing in der Performance und für den Primat des Rhythmus bei den eigenen Texten, der herausgeschält wird.

Petersdorff ist außerdem ein sehr guter Zuhörer, der sein junges Auditorium sehr ernst und im Frage-Block mitnimmt, schließlich in der Mitte der Veranstaltung, auf interessante und rege Nachfragen der Schüler gehaltvoll und geistreich reagiert. Von Fragen zum Literaturbetrieb bis hin zur Schreibprozess-Situation: die Oberstufenschüler sind gut vorbereitet und fragen originell. Auch nach Autorenvorbildern erkundigt sich jemand: Petersdorff verweist hier auf ganz unterschiedliche Inspiration – von Brecht bis Bachmann. Aber auch Lehrer waren für ihn Vorbilder, Vermittlungsvorbilder.

In einer Lese-Schluss-Runde pflückt Petersdorff besonders schöne Poeme aus seinem neuesten Lyrik-Band „Unsere Spiele enden nicht.“ Im Spiel, da folgt der Gast dem großen Vorbild Schiller, ist der Mensch ganz bei sich und frei, versunken in einer Tätigkeit, die ihm die Erdenschwere nehmen kann.

Ein schöner Lesevormittag endet mit zwei kurzen Gedichten, die das Radfahren, die gleitende Bewegung in der Natur, als sinnliches und beglückendes Geschehen vor Augen stellen.

OStD Peter Rottmann

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