Lesung im Schönborn-Gymnasium:
Benedict Mirow
Eigentlich ist Benedict Mirow Regisseur. Regisseur grandioser und mittlerweile fast schon kanonischer Dokumentarfilme, die den Zuschauer, auch den unbedarften, in Bann schlagen können für Musikgrößen und Musik-Enfant-Terribles: für Lang Lang, Friedrich Gulda oder die Wiener Philharmoniker. Für Musik auch, die dem Betrachter zunächst fernliegen mag. Der springende Punkt ist, dass Mirow es dabei immer wieder gelingt, Persönlichkeiten zu porträtieren und künstlerische Welten von einem messerscharf erkannten Zentrum aus zu verstehen, sodass der Zuschauer in Windeseile eingefangen wird.
Eine große Kunst, die auf Sensitivität aufbaut, auf einer überdurchschnittlichen Analysefähigkeit und – ganz wichtig – auf Zurückhaltung des gestaltenden Autorenfilmers.
Es gibt neben diesem defensiven intelligenten Arrangeur großer realer Persönlichkeitsereignisse aber auch den offensiven Autor fantastischer Literatur, der zugleich kongenialer Interpret seiner Texte ist. Seit 2020 schreibt Mirow, der 1974 in München geboren wurde und in Wien seine künstlerischen Prägungen am Max-Reinhard-Seminar bekam, fantastische Literatur.
Ein künstlerischer Mensch also, der hinter der Kamera immer mehr Lust bekam, die eigenen kreativen Potenziale auszuschöpfen und das Kopf-Kino zu aktivieren, unmittelbarer, offener und ja, vielleicht auch, näher am jungen Menschen und damit spannender als es über das Medium Film ginge.
DIE CHRONIKEN VON MISTLE END, gestartet mit Band 1, DER GREIF ERWACHT, avancieren seit diesem späten Debüt zu einem Renner auf dem Jugendbuchmarkt. Mirow folgt dabei einem todsicheren Rezept. Er ruft in seinen Figuren und in der Topografie das auf, was wir uns unter dem Vereinigten Königreich vorstellen, insbesondere aber von Schottland denken: dunkel, mystisch, exzentrisch und geheimnisumwittert. Gleichzeitig spielt er mit seiner Rezeptur ironisch, trägt oft durchaus dicker auf, was der junge Leser genüsslich einsammelt und der ältere, aber jung gebliebene Zuhörer als sophisticated ebenfalls schätzt. Mirow stellt seine Helden in einem rund 35-minütigen, weitgehend zusammenhängenden Leseausschnitt aus dem Einstiegsband den jungen Zuhörern tempo- und energiereich vor. Mirows Werk begann als Hörspielumsetzung – und das holt er in die Aula der Schule. Er schlüpft in Rollen. Er gibt den jungen heranwachsenden Cedric, in gewisser Weise ein Alter Ego Harry Potters, eines übernatürlich Berufenen, der noch nichts davon weiß, er gibt den melancholischen und etwas umständlichen Vater, aber auch die luftigen, souveränen weiblichen Figuren aus der Hexenwelt und die Jung-Hexer*innen. Besonders eindrucksvoll lässt er den Greifen, das mythische Wesen aus Vogel und Löwen auftreten, im Bass-Sound, unheimlich, zwielichtig und verstörend. Die jungen Zuhörer sind elektrisiert. Gleichzeitig spürt man, welche Energie dem Autor der Vortrag zurückgibt.
Die Schüler stellen viele Fragen im Nachgang. Nach möglichen Verfilmungen, nach seiner Art zu lesen, nach den kommenden Plots.
Wer der Lesung für die sechste und siebte Jahrgangsstufe am Schönborn-Gymnasium Münnerstadt folgte, kann verstehen, warum der Thienemann-Verlag mittlerweile Band 5 auf den Markt gebracht und dem Autor Band 6 schon zugesagt hat. Mirows Fantasywelt hat noch viel Potenzial für weitere Schauplätze. Am Ende: langer Applaus und ein Aktivierungsgrad von 100 Prozent in der Autogramm- und Signierschlange.
OStD Peter Rottmann (Fotos: Heidrun Wagner-Hack)