Lesung mit Zeitzeuginnengespräch –
Dr. Eva Umlauf in Münnerstadt
„Das ist kein Auschwitz-Buch“, so ordnet Eva Umlauf selbst ihre Lebenserinnerungen vor den Schülern der 11. Jahrgangsstufe im Schönborn-Gymnasium Münnerstadt ein. In „Die Nummer auf deinem Unterarm ist so blau wie deine Augen“ hat die Münchner Kinderärztin und Psychotherapeutin auf die furchtbare Zeit in den Lagern, aber auch ihr ganzes Leben zurückgeblickt und die konzentriert zuhörenden jungen Erwachsenen daran teilhaben lassen.
Eva Umlauf hat nach 1945 über Umwege ihren Weg aus der CSSR nach Deutschland, das „Land der Täter“, wie sie im Buch schreibt, gefunden. Der Liebe wegen ging sie als schon ausgebildete Medizinerin 1967 mit Jakob Sultanik, dem Verlobten mit polnisch-jüdischen Wurzeln und US-Pass, in das aufstrebende München, wo sie heute noch als Psychotherapeutin praktiziert und das kulturelle Leben der jüdischen Gemeinde mitträgt. Bezeichnend: die letzten beiden Bilder ihres Lesevortrags bilden Aufnahmen mit ihren drei Söhnen und den beiden Enkelinnen, die in den USA aufwachsen. Die Botschaft: Am Ende steht das Leben.
In der Slowakei wurde Eva Umlauf bereits in einem Arbeits- und Durchgangslager, Nováky, im Dezember 1942 geboren. Ihre Eltern hatten kurz vorher geheiratet, weil Gerüchte umliefen, dass verheiratete Juden und Jüdinnen zunächst vor Deportationen geschützt seien. Alle weiteren Rettungsversuche, auch mit gefälschten, sogenannten „arischen“ Papieren, liefen aber ins Leere. So kam es im Oktober 1944 doch noch zum Transport nach Auschwitz. Allerdings kamen Eva mehrere Zufälle zu Hilfe, die am Ende ihr Leben und das ihrer Mutter und der kleineren Schwester Nora, die in Auschwitz geboren wurde, retteten.
Unter anderem, dass die Lokomotive ihres Transports drei Tage ausfiel und sich so die Ankunft verzögerte. Das war entscheidend, denn die Lagerleitung hatte sich angesichts der anrückenden Roten Armee entschlossen, die Gaskammern außer Betrieb zu nehmen, um – wie Umlauf sagt – die „Spuren zu verwischen.“ Der Vater, den Eva zuletzt an der Rampe gesehen hatte, musste am Ende seines Lebens auf einen Todesmarsch gehen, den er zwar überlebte. Er starb aber dann im Außenlager Melk bei Mauthausen. In aufwändigen Recherchen trug die Autorin das Bild der Familiengeschichte zusammen.
Evas Überleben gegen alle Wahrscheinlichkeiten – sie war 1945 schwer krank, todeskrank, nicht transportfähig und blieb so bis Juni in Auschwitz – war sicher zuallererst eine Lebensleistung auch der fürsorglichen Mutter, der sie sich besonders verbunden fühlt. „Meine Mutter hat wirklich unglaubliche Kraft gehabt, uns zu erziehen, das Abitur nachzumachen und sie studierte Lehramt für die Grundschule. Sie hatte noch einmal geheiratet, aber im Alter hat sie dieses Unter-den-Teppich- kehren erwischt und sie wurde sehr depressiv. 1995 im Alter von 72 Jahren starb sie am dritten Herzinfarkt.“, so Umlauf.
Die eintätowierten Registrierungsnummern aus Auschwitz liegen bei Mutter und Tochter direkt in der Zählung nacheinander, markieren die enge Verbindung und in gewisser Weise begreift sich Eva Umlauf auch besonders als Zeitzeugin, die für ihre verstorbenen Verwandten Zeugnis abzulegen hat.
Das Buch ist darüber hinaus ein Zeitenzeugnis. Wir erleben mit Eva Umlauf die antijüdische Slansky-Hysterie in der CSSR, die stalinistischen Umtriebe, den Versuch, Eva als Spitzel anzuwerben. Sie kam – wie sie es sagte – von der „braunen in die rote Diktatur.“ Man erkennt auch, wie der Antisemitismus als Denkgebilde auch in der Bundesrepublik immer virulent ist, wie München 1972 ins Fadenkreuz des arabischen Terrorismus gerät, wie auch im Alltag, am Essenstisch in feiner Gesellschaft Ressentiments stets auf dem Sprung sein konnten.
Die Autobiografie ist zudem ein ehrlich-emanzipatorisches, ein durch und durch selbstbewusst-feministisches Buch. Sie erzählt von einer großartigen Selbstermächtigung einer Frau in der Männerwelt der 60er und 70er Jahre, als Ärztin, als Erbin ihres ersten Mannes, die ins kalte Wasser springen muss, als Beobachterin in der Welt bundesdeutscher Bürokratie und im christlich geprägten Bayern, schließlich als mutige Rednerin in Auschwitz und mit dem Entschluss, ihr Leben aufzuschreiben.
Mit den jungen Zuhörern stieg Umlauf naturgemäß am Ende der Veranstaltung in Fragen der Gegenwart ein. Was ist von neuen rechten Tendenzen in der aktuellen Politik zu halten? Umlauf endet in einem Appell: „Geht mit offenen Augen durch die Welt, überlegt euch, wo ihr bei Wahlen euer Kreuz macht! Schätzt die Demokratie, denn wir können sie verlieren, sie sitzt auf einem abfallenden Ast und es wäre schrecklich, wenn wir wieder eine Diktatur hätten. Ihr seid die Zukunft, nicht ich!“
OStD Peter Rottmann